„Was soll das denn?“ ...

... mit fragenden Blicken schauen die Leute die grünen Einkaufswagen auf dem Speersort vor St.Petri an. Das sind ja keine Wagen mehr, das sind mobile Sitze, mit Pflanzen am Heck. Und dann klickt es: amazing, cool – kommentieren ausländische Touristen die Installation von Martha Starke und Beate Kapfenberger. Was alles dahintersteckt, können sie nicht wissen. Sie lassen sich einfach im Schatten der Kirche nieder und genießen diesen Platz, ohne konsumieren zu müssen. Dann zieht es sie weiter zu den anderen Sehenswürdigkeiten Hamburgs.

Diese kleinen Begegnungen, diese Irritationen, dieses Einladen zum Innehalten, diese Eroberung des Raums – das ist für Martha und Beate Kommunikation. Eingreifen, Orte verändern, Menschen erreichen, Räume gestalten. Das kann man mit Print- und mit Digitalmedien machen. Aber besonders gut lässt sich eine intervenierende Kommunikation mit Elementen erreichen, die nutzbar sind, auf denen man sitzen oder stehen kann oder die sich bewegen lassen. Gelungen ist die Aktion, wenn sich die Orte dadurch verändern: eine langweilige Fläche wird durch Pflanzen in Kübeln und einfache Sitzgelegenheiten einladend.

Alles aufnehmen, was da los ist

„Wir arbeiten am liebsten ortsspezifisch. Was ist hier los, wer bewegt sich hier, was strahlt dieser Raum oder dieser Platz aus? Und: was fehlt hier, um Kommunikation zu ermöglichen“, so fasst Martha das Credo von morgen. zusammen. „Natürlich setzen wir uns mit den Vorstellungen der Auftraggeber auseinander und diskutieren mit ihnen unsere Ideen. So entwickeln wir die Dinge weiter und werden durch die Interaktion zu einem guten Produkt“, schildert Beate den Entstehungsprozess. Es geht also nicht um „Kunst im öffentlichen Raum“, die man betrachtet und sich, wenn’s gut läuft, was dabei denkt. Für die beiden Designerinnen ist die Kommunikation, die Gestaltung und die Nutzung entscheidend. Und sie freuen sich, wenn sie beobachten, wie Leute ihre Werke annehmen, was sie damit machen. Die „Grüne Gloria“ war so ein Projekt im Zentrum Harburgs. Dort wurden vor einem unfreundlichen Fußgängertunnel Sitzgelegenheiten der besonderen Art geschaffen, umgeben von vielen Pflanzen.

Für solche Projekte arbeitet das Designbüro morgen., wie sich die Firma in Wilhelmsburg nennt, gerne mit Produktionsschulen, Projekten des zweiten Arbeitsmarktes und kleinen Initiativen zusammen. Auch im Entstehungsprozess legen die beiden Frauen viel Wert auf Interaktion und Kommunikation. Andere mit einzubeziehen, ihre Ideen, ihre Fähigkeiten mit einfließen zu lassen und ein gemeinsames Werk zu schaffen, so funktioniert Kommunikationsdesign à la morgen.

Gebrauchtes Material ist interessant

Die Materialien sollen die Idee unterstützen. Natürlich könnte man alles im Baumarkt kaufen. Viel interessanter ist es aber, Materialien zu verwenden, die schon mal „gelebt“ haben. Die Einkaufswagen, die jetzt vor St.Petri stehen, verrichteten zuvor jahrelang ihren Dienst in einem Supermarkt. Als sie dort aussortiert wurden war morgen. da! Die Hartgummibaustraßen vor St.Jacobi sind geliehen und werden später wieder von LKW befahren. Die Hölzer stammen aus Abbruchhäusern, Kirchen oder anderen Renovierungsobjekten. Und gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen aus dem Netzwerk, das sie umgibt, schaffen sie dann Großes. „Die Prototypen bauen wir aber am liebsten selbst“, erklärt Beate. Und auf die Frage, ob man den Umgang mit Kreissäge, Dickenhobel und Bandschleifer auch an der Hochschule lernt, denkt Beate an ihren Papa, dem sie im heimatlichen Mittelfranken schon als Jugendliche in der Werkstatt helfen konnte.  „Die Liebe zum Handwerk haben wir aus unseren Familien“, ergänzt Martha, die aus Ostsachsen zum Studium erst nach Berlin und dann nach Hamburg gekommen ist. Dort haben sich die beiden auch kennengelernt und begannen schon während ihrer Masterarbeit im Fachbereich Kommunikation der HAW, die 2018 beendet war, mit ihrem schnell gegründeten Büro die ersten Aufträge umzusetzen. „Wir lernen jeden Tag dazu: mit welchem Material und Kooperierenden können wir was machen, wie bearbeitet und erzeugt man ungewöhnliche Oberflächen oder auch: wie biegt man schwere Gummiplatten und sichert sie“, ergänzt Martha. „Als Kommunikationsdesignerinnen regen wir ein Denken in Übergängen an und lassen die Grenzen zwischen Design, Aktivismus, Alltag und Erfindung spielerisch verschwimmen,“ fassen sie ihren Ansatz auf der Homepage zusammen.

Innenstadt beleben und verändern

Mit den evangelischen Kirchen der Innenstadt zusammenzuarbeiten war für die beiden ebenfalls eine bereichernde Erfahrung.  „Das spannende an der Kooperation ist ja, dass wir alle gemeinsam diese Plätze mit konsumfreien Angeboten beleben möchten, weil es einfach schöne Orte sein können, an denen man sich sonst nicht aufhalten würde. In der gemeinsamen Arbeit haben wir gemerkt, dass die aktiven Leute in den Gemeinden uns vertrauen, unsere  Arbeitsweise wertschätzen und wir eine sehr transparente Ebene gefunden haben“, beschreiben die Designerinnen die Arbeit mit St.Petri und St.Jacobi. Und natürlich nähert man sich der inneren Stadt mehr an, sieht, was hier los ist, wie radikal sich Strukturen und Orte ändern und erkennt, was noch kommen wird und wie viele Möglichkeiten es geben könnte, um die innere Stadt einladender, freundlicher und kommunikativer zu gestalten, mit experimentellen Projekten und ungewöhnlichen Mitteln.

Wir sind gespannt auf weitere Arbeiten von Beate und Martha!
Und, wie es sich für moderne Designerinnen gehört, ist alles prima dokumentiert bei Instagram und auf der homepage : https://morgen.jetzt

Zurück